Das feine Netz

Die spinnt doch total. So ein verrücktes Vieh. Ich werd noch ganz kirre. Du fragst dich, von wem ich da rede? Ach so, ja … na von der kleinen Spinne, die irgendwo in meinem Motorrad wohnt.

Jeden Tag, wenn ich zu meinem motorisierten Untersatz komme, hat diese kleine Spinne ein süßes kleines Netz an meinen Lenker dran gehäkelt. Jedes Mal denke ich dann: „Mensch Spinne, strick deine Fäden doch woanders. An dem großen Ast vom Apfelbaum gleich gegenüber zum Beispiel oder dort drüben in der Hecke.“ Und ja, jeden Tag zerstöre ich ihr Nachtwerk. Und jeden Tag fällt es mir ein wenig schwerer ihr Netz wieder aufs Neue einzureißen. Es gehört einfach nicht dort hin.

Und heute? Früh hatte ich ihr Netzwerk entfernt und dann … Stunden später, ich kam gerade von der Arbeit, um nach Hause zu cruisen und staunte nicht schlecht. Jetzt hatte die kleine Spinne neben ihrer tagtäglichen Nachtschicht auch noch eine zweite Tagschicht eingelegt. „Ich gebe mich geschlagen.“ hab ich ihr gesagt. Zusammen mit der kleinen Spinne und ihrem kleinen, feinen Netz an meinem Lenker, ging es dann nach Hause.

Aber nur dieses eine Netzchen. Mehr is nich drin. Du kleine verrückte Spinne.

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Der kleine Spatz

Ich habe heute mit einem Spatz gesprochen. Eigentlich textete ich ihn nur stumpf zu, während er emsig kleine Zweige zusammentrug. Mir schien, er war dabei sein Nest auszubessern. Ich flüsterte ihm zu, dass er gut dran sei.

Woanders rasseln die Menschen wie blöde mit den Säbeln, als wüssten sie es nicht besser. Dummbratziges Pack, getrieben von Machtgeilen und Geldgierigen Wenigen, die weit weg von den zahllosen Kriesenschauplätzen ausharrten bis sich das niedere Bauernvolk auf deren Geheiß hin die Köpfe einschlägt.

Kurz, so schien es mir, hatte ich die ungeteilte Aufmerksamkeit von dem kleinem Federviech. Doch dann widmete er sich wieder seiner Rohstoffsuche. Du ignorierst mich kleiner Spatz? Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Aber natürlich. Sind die Menschen erst allesamt ausgerottet, muss du kleiner Spatzenmann ja trotzdem für ein behagliches Heim und für deine Lieben sorgen. Schlaues Vögelchen. Ach wäre die Menschhkeit nur halb so clever wie du mein kleiner Spatz.

Strafe muss sein oder ein „falscher Fehler“.

„Das ist ein guter Tag“ sagte ich mir heute Morgen beim Aufstehen. Freunde hatten uns zu einer Hausboottour auf der Müritz für das kommende Wochenende eingeladen. Durchaus ein Grund sich zu freuen. Denn eine frische Brise, belebende Sprünge ins kalte Nass, ein paar kühle Blonde mit den Freunden zischen und eventuell den einen oder anderen Angelerfolg in Aussicht gestellt zubekommen – da geht einem doch das Herz auf. Oder? Und da lag es durchaus nahe, sich vorab schon einmal um eine offizielle Angelkarte für den Raum Müritz zu kümmern. Soll ja perfekt werden und nicht mit immensen Straffengeldern fürs Wildfischen enden.

Gesagt, getan. Ab in Richtung Roggentin zu AngelJoe, dem Angelprofi schlechthin. Ich stehe also in der Abbiegespur an der Ampel Höhe Shelltanke und warte auf Grün, als mein Handy nach mir zu schreien begann. Das Handy aus der Hosentasche gezwängt und einen Blick auf das Display geworfen. Aha, die Schwiegermama. Prompt bestätigte sich meine Vermutung. Man hatte mich gesehen und wollte nur sichergehen, dass ich nicht zu Ihnen auf den heimischen Hof wollte, weil man gerade in die Gegenrichtung unterwegs war. Tja, Schwiegermutters geschultes Auge entgeht nichts. Sie hatte mich im Gegenverkehr wahrgenommen. Leider aber auch ein weiteres Paar Augen, die einem sympathisch dreinschauenden Uniformierten in einem blau-silbernem Sixpack zuzuordnen waren.

SCHEISSE! Ähm … Schwiegermama? Ich muss Schluss machen. Polizei. Ich bog vorschriftsmäßig ab und blickte ängstlich in den Rückspiegel. Verdammt, beim Sixpack ging das Rückfahrlicht an und man wendete. Kein Blaulicht. Bitte lieber Gott, wenn es Dich gibt, dann bitte jetzt alle umliegenden Einheiten zur Rettung einer kleinen Miezekatze ausrücken lassen. Ok. Es wäre eine Chance für Gott gewesen, sich anzubiedern. Hat er nicht gemacht. Aber das ist ein anderes Thema.

Also bog ich mit gebanntem Blick in den Rückspiegel auf den Parkplatz bei AngelJoe ein und suchte mir in der Nähe zum Eingang einen Platz aus. Kurz hatte ich gehofft, dass der liebe Herrgott mich wohl doch erhört hatte. Ätsch. Dem war nicht so. Das blausilberne Monster erschien hinter einer Hecke und kam dann direkt auf mich zu. Das war´s dann wohl, dachte ich und stieg aus. „Sie wissen was sie falsch gemacht haben?“ frug der braungebrannte Officer, der ebenfalls ausgestiegen war. Zu ihm gesellte sich eine etwas blasse aber nicht unattraktive junge Blondine. „Verkehrskontrolle. Fahrzeugpapiere, Führerschein und Ausweis bitte“ bekam ich von ihr zu hören. Kennt eigentlich einer noch den Film „Tage des Donners“ mit Tom Cruise und der falschen Polizistin, die eigentliche eine …? Ich schweife ab. Sorry. Nach meinem Schuldeingeständnis und der darauffolgenden Belehrung erfragte ich dann noch die zu erwartende Straffe. „60 Euro wird sie das kosten“ meinte der Mann und seine Kollegin ergänzte dann noch fix: „Und einen Punkt gibt es noch obendrauf“.

Das dazu. Was für ein schöner Tag. Und wenn ich jetzt noch ergänzen darf, dass mich der gute Mann bei AngelJoe an die örtlichen Fischer und Angelläden rund um die Müritz herum verwies, weil man nur dort die offiziellen Angelkarten erwerben könne …

Mit diesem Wissen und das auch etwas früher kommuniziert, wären mir die 60 Euro und das Pünktchen in Flensburg (Prost) wohl erspart geblieben.

Es kann nur besser werden. Ich wünsche Euch ein schönes und erholsames Wochenende und bitte nicht beim Autofahren telefonieren.

Ich und alt.

In den Siebzigern geboren. Verdammter Mist. Bin ich etwa ALT? Offensichtlich. Es fühlt sich aber nicht danach an. Meistens zumindest. Natürlich gibt es Tage, da spüre ich jeden Knochen in mir. Das liegt dann aber eher an den nichtalltäglichen Tätigkeiten, wie das Vollziehen von Umzügen, ungeliebten Auf- und Umräumaktionen oder sportlichen Aktivitäten mit den Kumpels. Der alten Zeiten wegen. Leider viel zu seltenen. Und daher immer mit Schmerzen verbunden.

Niemand kann leugnen, dass die Zeit an Einem einfach so vorbei zieht. Auch der Alkohol scheint heutzutage spürbar mehr als zu meinen Sturm- und Drangzeiten seine Wirkung zu entfalten. Mitunter ist das aber auch ein Zeichen mangelnden Trainings. Vielleicht geht das auch mit der sich immer weiter entwickelnden Vernunft einher. Oh Gott … ich bin wirklich alt. Floskeln, wie diese kannte ich früher nicht.

Ich habe kapiert, dass sich die Zeit in so vielen Dingen widerspiegelt und es ist mir klar geworden, dass nichts für ewig wehrt. Mein Töchterchen zum Beispiel. Sie wird bald 11 Jahre alt. ELF JAHRE ALT. Das scheint mir ein anderes „elf Jahre alt“ zu sein als zu meiner Zeit. Überhaupt sah ich in ihrem Alter eine Menge Dinge mit anderen Augen. Mehr mit Kinderaugen. Jetzt könnte man mir mit der Pubertären Weiterentwicklungskeule von Mädels gegenüber gleichaltrigen Buben kommen. Aber nein. Ich kann mich noch gut an meine Mädels in der fünften Klasse erinnern. Die waren allesamt anders. Das soll nicht bedeuten, dass ich nicht gutheiße, wie sich mein Kind entwickelt. Nein. Aber warum lässt sie sich nicht noch etwas Zeit damit? Also mit dem Erwachsenwerden.

„Es ist einfach eine andere Zeit gewesen“, hat mir unlängst ein Kumpel im Gespräch über den Wandel der Generationen an die Birne geknallt. Der mediale Einfluss war anders. Klaro. Wir hatten einen medialen Einfluss einfach nicht oder so gut wie gar nicht. Kein Markenbewusstsein. Ich kannte kein Adidas, Fruit of the Loom oder Nike. Wobei, doch … wir nannten die Shirts allesamt Nicki. Aber das hat wohl wenig bis gar nichts mit Nike zu tun. Egal. Was ich damit sagen will, dass sich so viele Dinge seither verändert haben. Und viele Dinge zum Nachteil, wie ich finde.

Früher war es eine echte Strafe für uns Lütten Stubenarrest erteilt zu bekommen. Heute musst du die Kids vor die Tür jagen, damit sie ein bisschen Farbe abkriegen. Heute ziehen Verbote von TV, Pc und Smartphone mehr denn je. Apropos Smartphones. Hatten wir auch nicht. Wir sind früh raus und spät wieder rein. Heute hat jeder so ein Smartphone. Jeder Zeit erreichbar. Volle Kontrolle. Und wenn mal nicht. Ja dann ist die Hölle los. Warum bist du nicht an dein Handy gegangen. Ich bin vor Sorge fast gestorben. Ein hausgemachtes Problem – ich weiß. Aber eben auch eine Quittung der sich immer ändernden Zeit. Kannst deinem Kind ja nicht verwehren, was andere Kinder und du selber auch machst.

Zum Glück sind da aber auch noch die Momente, wo sich meine Lütte ihrem Alter entsprechend wie eine Elfjährige verhält. Die kindliche Vorfreude auf bevorstehende Geburtstage. Der Wunsch nach Spielsachen. Ich staune dann zumeist, wie sie von einer Sekunde auf die andere von der frühfraulichen Person mit Lippenstift und Nagellack wieder zu meiner kleinen Püppi wandelt. Ich weiß aber auch, dass diese Momente immer mehr verschwinden werden. Wir werden nun mal alle älter.

Traurig

Auf der Straße. Kurz nach dem Starten des Wagens. Genervt vom Radiobetrieb auf CD geswitcht. Daheim. Glotze an. Schnell durchgezappt und wieder aus die Kiste. Vom Internet, dem „geliebten“ Fressebuch, einmal ganz zu schweigen. Medial wird gegenwärtig endlos mit Mutmaßungen, Videoschleifen, Stories mit und um den Flug 4U9525 nur so um sich geschmissen. Wie grausam für diejenigen, die von dieser Tragödie direkt betroffen sind.  Menschen, die ihre Liebsten verloren haben. Unvermittelt. Kalt und herzlos aus dem Leben gerissen. Ich vermag mir nur im Ansatz vorzustellen, wie es sein muss, wenn man versucht, in seiner Trauer dieser Nachrichtenwulst zu entfliehen. Nachrichten? Das sind keine Nachrichten. Das ist einfach nur Mist.

Anteilnahme ist gut und auch sehr wichtig. Und eine lückenlose Aufklärung ist unabdingbar. Das wird jedoch Zeit brauchen und letztendlich werden wir es erst erfahren, wenn die Medien den Hype dieser Tage schon längst hinter sich gelassen haben. Wenn die „News“ verbrannt sind. Und die Titelüberschriften es nicht mehr hergeben.

 

– Bei uns im Studio zugeschaltet ist „der Luftfahrtexperte der ARD“ Herr … .

– Germanwings-Crews verweigern den Dienst. Aus Trauer oder doch aus Angst?

– Nur ein Pilot soll im Cockpit gewesen sein.

– Nur bei uns. Ausführlicher Live-Ticker zum Germanwings-Absturz.

Gibt es eigentlich noch so etwas wie den informativen, auf Fakten beruhenden Journalismus? Ist eine Nachricht es nur dann wert, wenn sie Gegenstand waghalsiger Theorien ist? Kürzlich las ich, dass Gaffer mit Fotoapparaten bewaffnet bei einem Autounfall auf irgendeiner Autobahn erst für ihr Verhalten kritisiert und dann zur Verantwortung gezogen wurden. Zum Gaffer ist der Mensch aber nicht geboren. Er wird dazu erzogen. Die Medien tragen ihren Anteil dazu bei. Klatsch, Tratsch, ja das regelrechte Ausweiden von Tragödien und das anschließende Präsentieren in Gazetten, im TV und teils unzensiert im Internet. Das soll wahrhaftig Journalismus sein?

Das macht mich richtig traurig. Keine Ahnung, wohin das noch führen soll und führen wird. Höchstwahrscheinlich zu einer Art Verrohung der Gesellschaft. Anteilnahmslosigkeit im besten oder doch im schlimmsten Fall. Ich auf jeden Fall werde mich einmal mehr von dieser Art der „Berichterstattung“ freisagen. In Gedanken an jene, die gegangen sind, und denen, die nun lernen müssen damit zu leben. Das Leben ist leider auch sehr grausam.

Glauben

Anscheinend kommt gegenwärtig keine Nachrichtensendung ohne einen Beitrag über radikale Religionsfanatiker und deren Tun und Handeln aus. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht in irgendeiner medialen Form mit Religionsanhängern und natürlich auch mit deren Gegnern konfrontiert werde.

Ich glaube es ist an der Zeit, sich einmal mehr mit dem Thema Glauben zu beschäftigen. Schon lange denke ich über Sinn und Unsinn nach. Was ist der Glaube? Und was bedeutet es, an etwas zu glauben? Und vor allem, warum können Gläubige und Nichtgläubige nicht miteinander oder zumindest nebeneinander existieren. Wie viel ist ein Glaube wert, wenn er sich nicht um das Leben anderer schert?

Gleich vorweg, ich bin nicht religiös veranlagt. Glaube demnach nicht an Gott oder göttliche Fügungen. Dementsprechend fällt es mir schwer, auch nur ansatzweise nachzuvollziehen, was Menschen bewegt, im Namen ihrer Religion Dinge zu tun, die Andersdenkende und natürlich Andersgläubige verletzen oder gar umbringen können.

Ich habe viel darüber nachgegrübelt, warum ich eigentlich nicht an einen Gott glaube. Und ob ich überhaupt an etwas glaube. Das wird zum Einem an meiner Erziehung liegen. Meine Eltern und auch meine Großeltern sind und waren niemals religiös. Dessen bin ich mir jedenfalls recht sicher. Außerdem bin ich gegenüber „göttlichen Wundern“ viel zu skeptisch beziehungsweise pragmatisch eingestellt, als dass ich Dinge, die mir nicht einleuchten, mit göttlichen Instanzen erklären würde.

Und trotzdem glaube ich. An die Familie zum Beispiel. Der Begriff „Familie“ beschreibt bei mir weit mehr als nur die Summe aller Blutsverwandten und angeheirateten Parteien. Natürlich sagt die Familie auch etwas darüber aus „Woher ich komme“ und „Wohin es mich bringen wird“. Aber darüber hinaus zähle ich alle meine Freunde zu meiner Familie. Ich glaube an meine Freunde. Und für gute Freunde würde ich weit gehen. Wie weit? So weit es mir menschlich möglich ist!

Woran glaube ich noch? An die Musik. So, wie ich mir ein Leben ohne Familie nicht vorstellen kann, so ist es ohne Musik nicht lebenswert. Auch wenn ich die Tatsache bedaure, kein einziges Musikinstrument spielen zu können, so gibt mir doch die Musik in ihren vielfältigen Formen Halt und Kraft. Musik lässt mich intensiv Spüren, Fühlen, Emotionen ausdrücken. Für die Musik bringe ich Opfer. Gebe Geld für Tickets oder Tonträger aus. Bewundere, ach was, ich vergöttere ihre Macher. Musiker sind die Genies der Gegenwart und der Vergangenheit. Musiker sind meine Götter. Ich habe viele Götter, die alle nebeneinander und miteinander existieren.

Warum können die Religionen, ob nun Christentum, Islam, Hinduismus, Judentum, Buddhismus und alle anderen Glaubensrichtungen nicht gemeinsam oder zumindest mit gegenseitiger Akzeptanz nebeneinander existieren oder gar koexistieren? Warum muss die jeweils eigene Religion, die einzig wahre sein? Neben meiner Familie gibt es unsagbar viele andere Familien, gegen die ich keinen Groll hege und mit denen ich wunderbar leben könnte. Hier und da wird eine dieser Familien dann auch wieder die meine verstärken. Vorausgesetzt, man lässt es einfach geschehen. Lässt niemanden außen vor.

Joe

Kannst Du Dir das vorstellen? Mehr als 400.000 Menschen, die sich versammelt hatten, um ein Teil der Musikgeschichte zu werden. Ob ihnen das damals schon bewusst war?

Und sie waren frei. Frei von so vielen Dingen. Keine Handys. Kein Internet. Auch frei von Konservierungsstoffen. Frei im Geist. Frei im Denken. „Revolution“ war eine praktizierte Tagesaufgabe und nicht nur ein Begriff aus dem Lexikon. Gut. Vielleicht nicht für jeden – aber für sehr viele.

Und dann stand da diese, für damalige Zeiten gigantische Bühne inmitten eines Ackers und ein Genius nach dem Anderen erklomm sie und ließ sich fallen. Gab einfach alles. Damals zählten noch Stimme, Kreativität und Message. Grateful Dead, Janis Joplin, Jimi Hendrix, Richie Havens und und und … und eben auch Joe Cocker.

Warum Zeiten nachträumen, die man doch gar nicht selbst erlebt hat? War doch nicht meine Zeit! Stimmt. Einfach gesagt – die Liebe meines Vaters zu dieser Musik war es. Paps hatte diesen handgemachten Sound verehrt. Ihn gespürt. Ihn gelebt. Und das hat mich irgendwann dann auch infiziert. Mich mitgenommen.

2005 war ich mit meinem Vater in der Standhalle bei dem Live Konzert mit Cocker. Und Joe, der alte Haudegen haute doch wahrlich diesen wahnsinnigen Urschrei in dem Song „With A Little Help From My Friends“ raus. 35 Jahre nach Woodstock erschuf dieser Mann noch immer so eine gewaltige Aura. Bei dem Gedanken an dieses Konzert und diesem Moment bekomme ich direkt wieder eine Gänsehaut. Immer wieder.

Nun ist Joe tot und es fühlt sich an als wäre ein Teil von mir mit ihm gegangen. Mir ist gerade bewusst geworden, dass ich nie wieder ein Konzert mit ihm erleben werde und das tut weh. Sehr weh. Aber seine Lieder bleiben und wie bei so vielen Dingen eben auch die Erinnerungen, die ich damit verbinde.

Eingemauert?

Ein Kind der Wendezeit.

Genau ein Monat nach dem Mauerfall feierten wir gemeinsam meinen 12. Geburtstag. Ein Monat, der bereits so viel Neues mit sich brachte. Es war eine chaotische Zeit des Um- und Aufbruches. Und wir waren mittendrin. Ich war zu jung, um die Zusammenhänge im Ganzen verstehen zu können. Wiederum war ich alt genug, so dass ich heute rückblickend meinen Eindruck wiedergegeben kann.

Auf Rügen, in der beschaulichen Hafenstadt Saßnitz waren wir weit ab vom Schuss, so dass uns die Vorgänge in Berlin, Leipzig, Rostock und in den vielen weiteren Demonstrationshochburgen verborgen blieben. Und so kam es auch, dass der 9. November für uns ein Tag, wie jeder andere war. Erst am Morgen danach, am 10., hörte meine Mutter im Radio auf DT64 eine Live Reportage vom Kudamm. Ihr erster Gedanke – so früh am Morgen schon ein fiktionales Hörspiel im Radio – die spinnen wohl. Doch schnell begriff sie, dass sie da im Radio die Gegenwart, und aus heutiger Sicht, Geschichte pur serviert bekam. Sie rief meinen Vater zu sich und beide begannen erst gespannt zu lauschen und dann aufgeregt zu diskutieren. Jetzt wurden wir, meine zwei Jahre jüngere Schwester und ich aufmerksam. Es war irgendetwas passiert. Und ab da änderte sich alles.

Die Schulen halb leer. Betriebe unterbesetzt. Niemand hatte einen Plan. Und schon kehrten die Ersten aus dem anderen Deutschland wieder heim. Warst Du wirklich drüben? Wie war es da? Haste was mitgebracht? Irgendwann sind wir dann auch in den Westen gefahren. Knapp 3 Wochen später. Nach Lübeck. Einfach mal gucken. Überwältigend war das. Eine Reizüberflutung für uns Kinder und für meine Eltern eine Menge Unsicherheit gepaart mit Neugier.

Wie schon erwähnt, Rügen war weit weg vom Rummel. Daher kannten wir Inselkinder auch kein Westfernsehen. Den ersten Kontakt mit westlichen Medien hatte ich knapp ein Jahr zuvor, als wir meine Tante in Berlin besuchten. Die hatte unzählige, mir nicht bekannte Sender in ihrer Glotze zur freien Auswahl. Ein echter Kulturschock für mich. Bis dato war das Fernsehen nicht wirklich eine Option. Wunschbriefkasten, Fernsehballett oder Sandmann? Das ging mir am Allerwertesten vorbei. Aber diese unbekannte Sendervielfalt und ins besondere dieser eine Film – Planet der Affen – ließen mich, wieder daheim in Saßnitz, lange nicht los. Was habe ich an der Antenne rumgebastelt und die Senderfrequenzen hoch und runter durchgesucht. Immer in dem Bewusstsein – das ist irgendwie nicht richtig. Hinterfragt hatte ich das Ganze nicht wirklich. Und die Zeit verging und ich verlor das Interesse an der fernen Fernsehlandschaft wieder.

Wir Kinder der Insel langweilten uns deshalb nicht. Wir hatten die Ostsee vor der Tür oder waren in Wald und Flur unterwegs. Irgendetwas gab es immer zu tun. Die Modelleisenbahn AG in der Schule. Bei Oma Schallplatten lauschen und dabei mit Buntstiften der Kreativität freien Lauf lassen. Mit Opa in der Garage rumwerkeln. Oder mit den Kumpels auf unseren Fahrrädern durch die Weltgeschichte rasen. Es gab genug Kurzweil für uns. Rügen war für mich ein wahr gewordener Traum.

Auch noch nach der Wende. Das Leben ging natürlich weiter. Anfänglich weniger geordnet und dennoch voran. Neues Schulsystem. Gymnasium. Neues Auto. Golf „Madison“. Und die weite Welt. Frankreich. England. Italien. Und, und, und. Mit meinen Eltern entdeckten wir nun das restliche Europa. Polen und Tschechei kannten wir ja zur Genüge. Und die Zeit ging weiter ins Land. Von Rügen nach Rostock. Schulende. Ausbildung. Bundeswehr. Job und dann die eigene Familie. Und nun?!

Zusammen mit meiner 10jährigen Tochter sitze ich gelangweilt vor der Glotze. Tausende bunte Kanäle und nur Mist. Und dann bleibe ich bei diesem einen Sender hängen. 25 Jahre Mauerfall. Die Bilder aus Berlin, die mir heute mehr als damals eine Gänsehaut und einen Knoten im Hals verschaffen. Und dann fragt mich meine Lütte. Papa, du hast doch auch in der DDR gelebt. Wie war es da? Ich überlege kurz und sage dann entschlossen. Es war eine andere Zeit. Aber es war auch wunderschön. Sie entgegnet mir. Aber die im Fernsehen sagen, dass das alles nicht gut war in der DDR. Das mag sein, entgegne ich ihr. Ich war damals noch ein Kind. Mir ging es gut. Unserer Familie ging es gut. Es gab viele Dinge, die wir nicht hatten und vielleicht auch deshalb nicht vermissten. Es ist mir nicht möglich ihr im Detail zu erklären, was mich mit der DDR und auch mit der Wendezeit so verband.

Stunden später, als ich das hier zu Papier gebracht hatte, war mir dann klar, warum ich alles so und nicht anders hätte noch einmal erleben wollen. Es waren nicht die DDR, die verwirrten Wendezeiten und auch nicht das Danach in einem vereinten Deutschland, was mich in meinen Erinnerungen fesselte. Nein. Es ist die Familie, die vielen lieben Menschen mit denen ich diese Zeiten erleben durfte, die mich prägten und zu dem machten, der ich heute bin. Viele dieser Menschen sind heute nicht mehr da. Aber damals waren sie es und darum möchte ich nichts von alledem missen. Ich hoffe meine Tochter wird eines Tages verstehen, was ich damit meine.

London

Alle sind sie Londoner. Und ich bin es jetzt auch. Nach Hunderten Meilen in der Londoner U-Bahn darf ich mich so nennen. Den Titel kriegt nicht jeder. Nun ist er mein.

Am Anfang war ich nur ein einfacher Tourist. Ein Reisender, den man den zwei größten vorherrschenden Gruppierungen in London nicht so recht zuzuordnen wußte. Da sind zum Einen die Unscheinbaren, die sich ihrer Umgebung vollends angepasst haben. Ihr Kredo lautet: „Alles, nur nicht auffallen“. Der zweite Haufen ist das totale Gegenteil zur Anpassungsmasse. Die wollen gesehen werden. Knallige Klamotten, schrille Frisuren, ein lautes bzw. ein nicht zu überhörendes Wesen legt dieser Typ von Londoner an den Tag.

Und was verbindet die Menschen dieser zwei Kategorien miteinander?

In der Tube ist ein jeder für sich. Alleine! Es gibt quasi kein Miteinander. Keine zusammenhängende Gruppen- oder Paarbildung. Das zumindest war mein Eindruck. Es wurde auch nicht großartig geredet. Klar, der eine und andere labertierte oder quakte wild vor sich her und zuweilen auch mit sich selbst. Der gemeine Tuber jedoch lass still seine Zeitung, hörte Musik oder taktierte sein Smartphone. Und alle hatten sie ihre Stöpsel in den Ohren. Ein befremdlicher Anblick. Ich habe mir irgendwann einfach die Enden der Strippen meiner Kabutzenjacke in die meinen geklemmt, um mich zumindest optisch anzupassen. Da sitzt Du dann mit den Stricken in den Ohren und kämpfst gegen die Druckunterschiede in der Tube an. Das ist auch so eine Sache. Wirklich niemand außer mir schien diese Drucksprünge, wie man sie aus dem Flieger kennt, zu spüren.

Das unentwegte Knacken in den Ohren und das daraus resultierende schlechte Hörvermögen – es nervte einfach alles. Also entweder sind die Londoner allesamt eingeschworene Apnoetaucher oder sie verfügen über irgendeine Art Trick mit diesen Druckschwankungen umzugehen. Und so war es dann auch. Langgezogenes Gähnen, Kaugummi kauen oder das schlichte „Allesinsichhineinschlingen“ sind des Tubers Lösungen. Der Druck weicht und die Qual hat ein Ende. Nebst den Schnüren in den Ohren, begann ich also die Vorräte aus meinem Rucksack wegzurationalisieren. Und so wurde ich zum Londoner. Mit Pseudo Stöpseln in den Muscheln und vollem Mund durch den Untergrund.

Montagonomie

Montag, 08:34 Uhr, im Büro. Die Frage nach dem Warum habe ich mir bereits etliche Male gestellt. Ne Antwort darauf – gabs leider nicht. Wie ich diese Montage hasse. Es will einfach nicht locker, flockig von der Hand gehen. Schon gar nicht zum Munde. Wörtergulasch, obwohl sich das vergangene Wochenende sinnig und geschmeidig anfühlte.

Bis zum Ende dieses Absatzes habe ich anderthalb Din-A-Seiten voll Textadaptionen erbrochen und wieder weggewischt. Das ist normal an so einem tristen Montga. Und schon wieder verschrieben. Egal. Das bleibt jetzt so. Weiß ja jeder, was ich damit sagen will. Maximale Erfolge Euch da draußen. Und – Es muss ja weitergehen.

Blub.